„Carmina Burana“ auf der Uhlandshöhe

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Für den Chor hat Carl Orff in seinem legendären Werk bekanntlich eine ganze Reihe von „stimmlich-musikalischen Hürden“ eingebaut, die es zu überspringen gilt. Lang ausgehaltene, „höchste“ Lagen in den Sopranen und Tenören, knifflige rhythmische Komplikationen, viele Stimmteilungen (bis zur Achtstimmigkeit), anspruchsvolle Männerchöre, schnelle Tempi, viele Tempowechsel, jede Menge Text für den Chor und so einiges mehr. Aber auch die Solisten-Partien sind „am Rande des Möglichen“. Die Bariton-Arien fordern vom Solisten einen Stimmumfang über jeder Bariton-Bandbreite und eine Ausdrucksweite, die das Äußerste abverlangt. Für die Sopran-Nummern gilt das Gleiche. Es bräuchte eigentlich drei Sängerinnen mit verschiedenen Sopran-Profilen. Und der Tenor singt durchgehend in einer „mörderischen“ Tenorlage mit hohen „C“s am laufenden Band. Dass auch die Percussions-Gruppe und die beiden Pianisten hoch virtuose Aufgaben zu lösen haben, wird bei jeder Aufführung des Werkes hör- und sichtbar.

Ein außergewöhnliches Konzerterlebnis (1)

Der Stuttgarter Oratorienchor erfreute mit seinen 23 Männern und 32 Damen schon beim Auftritt auf der herrlich ausgeleuchteten Bühne des sehr beeindruckenden Konzertsaals der Waldorfschule Uhlandshöhe. Mit schwarzen und roten Farb-Akzenten hatte man sich themengerecht vom klassischen Schwarz der sonst üblichen kirchlichen Auftritte mit sakralen Oratorien abgesetzt.

Doch als Maestro Enrico Trummer mit präziser Auftaktgeste den Eröffnungsschlag der berühmten Fortuna-Initiale vorgab, war der Ernst der unerbittlichen Schicksals-Göttin spürbar und die konzentrierte Hochspannung sämtlicher Akteure übertrug sich sofort auf den Saal. Beeindruckende Intonation des Chores, vorbildliche Artikulation, dynamische Disziplin genauestes Zusammenspiel von Chor und Orchester ließen die Klage über Fortuna zum – von Orff beabsichtigten – dramatischen, spannungsgeladenen Auftakt werden und die Zuschauer reagierten mit einer ersten begeisterten Applauswelle nach der mächtigen Schluss-Fermate. Auch die Fortsetzung Fortunae plango – vom hervorragend disponierten Männerchor eingeleitet – bestach gleichermaßen durch punktgenaue Präzision und lockere Stimmgebung. Der Frauenchor mischte sich im weiteren Verlauf ideal mit den Männerstimmen. Grandiose Orchester-Nachspiele setzten jeweils noch mitreißende Schlusspunkte.

Primo vere

Sprecher Rainer Wolf führte nun mit emphatischer Geste und kurzweiligen eigenen Texten in den ersten Teil des Werks ein.

Dieser erste Teil – dem erwachenden Frühling gewidmet und ganz „im Freien“ spielend – bietet mit zahlreichen Farbwechseln und allmählichen Zuspitzungen eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten für Chor, Solisten und Instrumentalisten. Trummer nutzte die Möglichkeiten der Partitur mit beeindruckender musikalischer Umsetzung: Hauchzarte Chorklänge der Chorgruppen charakterisierten den anbrechenden Frühling in Veris leta, wobei die organalen Punktklänge zwischen den Strophen durch hochpräzsises Dirigat staunenswert synchron zusammenklangen.

Poetisch: Ausdeutung der ersten Bariton-Arie Omnis Sol temeperat

Kai Preußker überzeugte mit variantenreicher Farbgebung und hervorragendem Stimmsitz und gab dieser Nummer eine hoch-interessante und inspirierte Deutung. Herzerfrischend danach der Tenor-Einsatz beim Ecce gratum: Mit Temperament und stimmlicher Varianz gestaltete das Ensemble diese abwechslungsreiche und inhaltlich zusammenfassende Nummer wiederum mit spielerischer Leichtigkeit und hoher Konzentration äußerst klangschön.

Uf dem anger

Der Tanz auf dem Dorfplatz Uf dem anger ist eine Glanznummer für das Orchester: Das humorvolle Spiel mit dem „Zwiefachen“ setzt hohe Spielkunst und eine genaue dirigentische Führung voraus. Mit nicht nachlassender Genauigkeit und Spielfreude interpretierte das Pianisten-Duo Julia Anna Koch und Giulio Ferré mit dem Paukisten Christoph Wiedmann und seinem Percussions-Ensemble dieses hinreißende Instrumental-Stück.

Legendäre Chornummern

Floret silva – der Verlust des Geliebten – fordert vom Chor nicht nur hohe Konzentration, sondern auch die Fortführung des raffinierten Spiels mit den „zwiefachen“ Taktwechseln. Die dreistimmigen Frauenchöre zeigten sich in den lang ausgehaltenen Akkorden auf dem hohen „h“ von ausgesprochener Klangschönheit und man konnte nur staunen, wie leicht und flexibel hier die Chor-Damen die Intentionen des Dirigenten schier mühelos in Klang umsetzten. Auch der witzige und durchaus anspruchsvolle hinc hinc hinc-Tenor-Einsatz kam locker und stellte den „flüchtenden“ Liebhaber plastisch dar. In Chramer, gip die varwe mir waren die Übergänge zwischen den melodischen Abschnitten und den Summ-Teilen besonders schön und fließend gestaltet. Herrlich weich gesungen der jeweilige Frauenchor-Schluss Seht mich an…

Reie

Der Reigen-Tanz der Mädchen eröffnet diese mehrteilige Nummer. Mit gestischer Anmut interpretierten Orchester und Dirigent diesen instrumentalen Auftakt. Überschäumendes Temperament dann im „Spottchor“ Swaz hie gat umbe. Souverän im schnellen Dialog zwischen Frauen- und Männerchor wurden die Bälle spielerisch hin- und hergeworfen.

Stimmungsvoll der leise Beginn der Altistinnen bei Chume, chum geselle min, der ebenso anrührend vom vierstimmigen Männerchor beantwortet wurde. Glanzvoll wiederum das Finale des Frühlingsteils: Hochvirtuose Akkordrepetitionen des Klavierduos imitierten die schmetternden Trompetenfanfaren und der Chor setzte mit großer Geste sein Were diu werlt alle min in den Saal. Beeindruckend und makellos setzten die hohen Chorstimmen ihr hohes „c“, und das mitreißende Nachspiel wurde von einem punktgenauen „Peitschenknall“ des Orchesters mit dem synchronen Hei des Chores gekrönt. Spontaner Jubel im Publikum war die direkte Antwort auf diese grandiose Darbietung des Frühlingsteils.

Teil 2 des Konzertberichts folgt in Kürze…

Bildrechte: Timo Kabel